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Ablehnung des Bürgerbegehrens zur Kreisfreiheit – keine Bauchentscheidung mit Ermessensspielraum!

23. Mai 2018

Der Stadtrat hat in der Sitzung am 16. Mai 2018 mit großer Mehrheit beschlossen, das Bürgerbegehren „NUXIT-so geht`s net“ aus zwingenden rechtlichen Gründen nicht zuzulassen.
Betrachten wir die Gründe dazu einmal genauer:

Nach den negativen Erfahrungen in der Weimarer Republik, die aufgrund der verfassungsmäßigen Schwächen den damals aufkommenden Nationalsozialismus nicht aufhalten konnte, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 bewusst auf eine sog. repräsentative Demokratie gesetzt. Das Volk wählt seine Vertreter, die im Parlament Gesetze beschließen und die notwendigen Entscheidungen treffen. Plebiszitäre Elemente wie Volksbegehren/Volksentscheid sollten nur in Ausnahmefällen wie z.B. bei der Neugliederung des Bundesgebietes zulässig sein.
Der Freistaat Bayern war mit seiner Verfassung im Jahre 1946 schon einen Schritt weiter, wenn man so will bürgerfreundlicher: Hier waren Volksbegehren und Volksentscheid von vorneherein in der Verfassung vorgesehen. 1995 kamen das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene hinzu, geregelt in der Bayerischen Gemeindeordnung.

Da ein Bürgerentscheid die Wirkung eines Stadtratsbeschlusses hat, hat der Gesetzgeber diesen an sehr enge Wirksamkeitsvoraussetzungen gebunden. Stadträte müssen auch demokratisch einwandfrei in einer rechtsstaatlichen Wahl gewählt werden, zu Stadtratssitzungen muss fristgerecht und ordnungsgemäß geladen werden. Auch hier besteht kein Beurteilungsspielraum.

Was zunächst befremdlich erscheint, ist aber Ausdruck des unabänderlichen Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes. Sofern der Stadtrat der Überzeugung ist, dass ein eingereichtes Bürgerbegehren rechtswidrig ist, muss er dieses als unzulässig ablehnen. Dies geschah in Bayern 1995 bis 20015 nach einem Bericht von „Mehr Demokratie e.V.“ statistisch gesehen bei 12,3 % aller eingereichten Bürgerbegehren. Sollte der Stadtrat das Bürgerbegehren trotz rechtlicher Unzulässigkeit für zulässig erklären, wäre der Oberbürgermeister kraft Amtes verpflichtet, die Rechtsaufsicht einzuschalten und den Beschluss überprüfen zu lassen, die dann den Beschluss des Stadtrates aufheben würde.

Was hat letztlich zum Entschluss des Stadtrates geführt, das Bürgerbegehren abzulehnen? Die von der Stadtverwaltung beauftragten zwei Rechtsanwaltskanzleien aus Heidelberg und München haben in dem Vorgang nicht nur einen kritischen Punkt, über den man vielleicht noch juristisch streiten könnte, sondern eine Vielzahl von Fehlern aufgedeckt, die das Bürgerbergehren nicht im Einklang mit der Bayerischen Gemeindeordnung stehen lassen. Für eine Ablehnung aus Rechtsgründen wäre aber schon ein einziger Fehler ausreichend!

Hier nur auszugsweise ein paar Beispiele:

Fragestellung des Bürgerbegehrens
„Sind Sie dafür, dass die Große Kreisstadt Neu-Ulm im Landkreis Neu-Ulm verbleibt und deshalb auf einen Antrag bei der Landesregierung auf Erklärung der Kreisfreiheit verzichtet“
Ein Bürgerbegehren muss eine eindeutige Fragestellung haben, über die der Stadtrat bzw. hier nun die Bürger, abstimmen dürfen. Die Fragestellung im Bürgerbegehren war zum einen zeitlich überholt. Der Entschluss, die Kreisfreiheit in München zu beantragen, war schon im Stadtrat gefallen, bevor die Unterschriften abgegeben worden sind.
Zum anderen darf ich nur darüber abstimmen – gleich ob im Stadtrat oder im Bürgerentscheid – was in die Zuständigkeit der Stadt Neu-Ulm fällt. Die Entscheidung darüber, ob Neu-Ulm kreisfrei wird, wird in München entschieden, nicht in Neu-Ulm. Also dürfen die Neu-Ulmer Bürger darüber nicht abstimmen, genauso wenig wie der Stadtrat es darf. Dieser könnte z.B. auch nicht rechtsverbindlich beschließen, dass Großbritannien die EU nicht verlassen dürfe oder dass in Bayern ein Tempolimit auf Autobahnen gilt. Den Bürgern wurde von den Initiatoren also eine Entscheidungsbefugnis vorgegaukelt, dass sie gar nicht haben.

Begründung des Bürgerbegehrens und Unterschriftenanzahl
Ein Bürgerbegehren muss begründet sein. Sollte die Begründung nicht mehr (zumindest in allen Punkten) zutreffend sein, wie es hier der Fall war, darf diese aber während der Sammlung der Unterschriften nicht einfach geändert werden. Dürfte man Begründungen einfach abändern, bestünde seitens der Unterschriftensammler eine Blanko-Vollmacht, die gesammelten Unterschriften zu jeglichem Thema verwenden zu können.
Auch muss die Begründung von den im Bürgerbegehren genannten Initiatoren stammen; weitere Helfer, die Unterschriften sammeln wollen, können nicht eigene Begründungen erfinden und dann auf selbst gefertigten Papieren Unterschriften sammeln, die dann am Schluss zu einem einzigen Bürgerbegehren zusammengefügt werden. Unterschriften müssen nach der Bayerischen Gemeindeordnung zwingend auf einem Bogen abgegeben werden, der die Fragestellung, die Begründung und die Vertretungsberechtigten der Initiative beinhaltet. Diese Vorgaben gelten für jedes Bürgerbegehren und wurden hier nicht eingehalten. Daher sind die auf diese Weise gesammelten Unterschriften als ungültig zu bewerten gewesen. Das hat dazu geführt, dass letztlich nicht genügend gültige Unterschriften gesammelt wurden (2.615 wären bei Neu-Ulms Einwohnerzahl für ein erfolgreiches Bürgerbegehren erforderlich gewesen, es waren nach Abzug der 580 ungültigen aber nur 2.604) zusammengekommen.
Die fehlenden Unterschriften mussten von der BI noch nachgereicht werden, um wenigstens die erforderlichen Unterschriften nachweisen zu können.

In Anbetracht dieser Rechtsverstöße gab es für den Stadtrat aus zwingenden rechtlichen Gründen keine andere Möglichkeit, als das von der Bürgerinitiative eingereichte Bürgerbegehren als unzulässig ein zu stufen.

Prof. Dr. Dr. Hilmar Brunner