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Bürgerbegehren zur Keisfreiheit der Stadt Neu-Ulm

16. Mai 2018

Die Entscheidung zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ist heute im Neu-Ulmer Stadtrat gefallen. Die CSU-Stadtratsfraktion hat dazu eine klare Meinung. Mit 27 Ja- und 13 Nein-Stimmen folgte die Mehrheit im Rat zwei ausführlichen Rechtsgutachten.

Lesen Sie hier die Stellungnahme des CSU-Fraktionsvorsitzenden aus der heutigen Sitzung:

Stadtrat am 16.05.2018, TOP 2 Bürgerbegehren „NUXIT-so geht`s net“; Feststellung zur Zulässigkeit

Stellungnahme:

„Die vom Stadtrat heute zu treffende Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nach Art. 18 a Abs. 8 BayGO ist eine ausschließlich an rechtlichen Kriterien zu orientierende Entscheidung. Sind die formellen und materiellen Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren nach Art. 18 a BayGO erfüllt, ist das Bürgerbegehren zulässig, wenn die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist das Bürgerbegehren unzulässig. Ich sage dies, mit allem Respekt vor den 3.319 Unterschriften unserer Bürgerinnen und Bürger. Ich sage dies aber auch mit allem Respekt für unsere Rechtsordnung, zu deren Einhaltung sich doch alle Stadträte mit dem geleisteten Diensteid „Ich schwöre Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Bayern, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten, so wahr mir Gott helfe“, verpflichtet haben. Diese Rechtsordnung hat die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Bürgerbegehren in Art. 18 a BayGO geregelt. Da steht nicht drin, wir beachten diese Vorschrift nur wenn wir es politisch opportun halten.

Für unzulässig erklärte Bürgerbegehren sind keineswegs so selten:

Nach dem Bericht von „Mehr Demokratie in Bayern“ für den Zeitraum 1995 bis 2015 wurden immerhin 16,4 % aller „von unten“ initiierten Bürgerbegehren (364 von 2.220) für unzulässig erklärt. Die häufigsten Gründe für die Unzulässigkeit waren Formfehler z.B. Formulierung der Fragestellung. Thematische Schwerpunkte der Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide waren Wirtschaftsprojekte, Verkehrsprojekte, öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen sowie öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen, jedenfalls gab es bislang kein Bürgerbegehren zur Kreisfreiheit.

In Baden-Württemberg waren 2015 6 von 27 Bürgerbegehren unzulässig, das sind 22 %, in 2014 waren 8 von 14 Bürgerbegehren unzulässig, das sind 53 %, Quelle „Mehr Demokratie in Baden-Württemberg.

Rechtliche Vorgaben müssen beachtet werden

In rechtlicher Hinsicht haben wir uns von Anfang an über den von der Bürgerinitiative verlautbarten Ansatz gewundert, über die Frage der Kreisfreiheit habe abschließend die Bürgerschaft zu entscheiden, obwohl die finale Zuständigkeit für die Entscheidung hierfür in München liegt. Erstaunt konnte man auch zur Kenntnis nehmen, dass die Bürgerinitiative für sich in Anspruch nahm, eine mit Unterschriften versehene, bestimmte Fragestellung einer ggf. neuen Sachlage problemlos anpassen zu können, obwohl die Bürger/innen eigentlich für eine andere Frage unterschrieben hatten. Sehr „locker“ war aus unserer Sicht auch der Umgang mit der Frage ob sich das Bürgerbegehren überhaupt noch im eigenen Wirkungskreis der Stadt bewegt, nachdem ja die „staatliche“ Ebene die Dinge zu entscheiden hat. Die Abklärung von Fragen, ob die von der Bürgerinitiative und den Initiatoren der Hauswurfsendung in rechtlicher Hinsicht getroffenen Annahmen so zutreffen, fiel von Anfang an in deren Verantwortlichkeit. Da wäre besonders mit Blick auf die Bürger und Bürgerinnen, die unterschrieben haben, von den Initiatoren des Bürgerbegehrens ein eigenverantwortliches, rechtlich korrektes Vorgehen gefordert.

Zwei renommierte Anwaltskanzleien kamen unabhängig voneinander in ihren Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass das Bürgerbegehren unzulässig ist.

Aus unserer Sicht sind insbesondere Rechtsverstöße, mit deren Hilfe den Bürgern und Bürgerinnen bewusst ein falsches Bild vermittelt wurde, nicht zu tolerieren. Es kann bei aller großzügigen Betrachtungsweise nicht hingenommen werden, wenn dem Bürger ein unzutreffendes und unvollständiges Bild von dem maßgeblichen Sachverhalt und seiner Beurteilung vermittelt wird, d.h. wenn tragende Elemente der Begründung unrichtig sind.

Wenn es um die Begründung des Bürgerbegehrens und die Fragestellung geht, ist auch im Interesse und zum Schutz der Unterzeichner/innen des Bürgerbegehrens Sorgfalt angebracht. Diese notwendige Sorgfalt ist offenbar den politischen Zielen der Bürgerinitiative und der Initiatoren der Hauswurfsendung zum „Opfer gefallen“:

Das in der Begründung genannte „enge und gut funktionierende Beziehungsgeflecht zwischen Stadt und Kreis, das durch die mögliche Kreisfreiheit der Stadt für die Zukunft in Gefahr gebracht würde“, vermittelt bewusst den falschen Eindruck, die Stadt Neu-Ulm werde nach der Kreisfreiheit die Zusammenarbeit mit dem Kreis beenden. Das genaue Gegenteil ist jedoch richtig. Von (künftiger) „gemeinsamer Aufgabenerfüllung“, wie sie in der Begründung des Bürgerbegehrens dargestellt ist, kann in Anbetracht der unterschiedlichen Zuständigkeiten des Kreises und der kreisangehörigen Stadt keine Rede sein. Ohne Kreisfreiheit bleiben wichtige Zuständigkeiten beim Kreis. Die gemeinsame Aufgabenerfüllung geht dann so, dass der Kreis entscheidet und die Stadt zahlt. Da sind in der Begründung des Bürgerbegehrens den Bürgern und Bürgerinnen „falsche Bilder“ vermittelt worden.

Die in der Begründung den Unterzeichnern des Bürgerbegehrens von der Bürgerinitiative in Aussicht gestellte „Abschließende Entscheidung über die Kreisfreiheit der Stadt“ durch die Bürgerinnen und Bürgern entspricht nicht den rechtlichen Realitäten. Auch hier sind die gesetzlichen Zuständigkeiten eindeutig anders gefasst. Man muss das halt zur Kenntnis nehmen wollen.

Die beinahe uneingeschränkte Abänderungsermächtigung zu Gunsten der Vertreter des Bürgerbegehrens und die Änderung der Fragestellung für alle Unterzeichner, lassen schon Zweifel entstehen, wie ernst der immer wieder ins Feld geführte „Bürgerwille“ hier von den Initiatoren genommen wurde.

Die von der Bürgerinitiative formulierte Fragestellung, Art. 18a Abs. 4 GemO spricht hier von der zu entscheidenden Fragestellung, hat im Hinblick auf die geforderte Rücknahme des bereits gestellten Antrags, keinen Entscheidungscharakter mehr und ist daher unzulässig.

Die tatsächliche Zuständigkeit darf nicht verschwiegen werden

Die Begründung des Bürgerbegehrens ist unvollständig in der Hinsicht, dass eine Kausalität zwischen Beibehaltung der Kreisfreiheit und dem Antragsverzicht behauptet wird, obwohl das Verfahren auch ohne Antrag und auch bei zurückgenommenem Antrag vom Freistaat gewissermaßen von Amts wegen weiter betrieben werden kann. Den Unterzeichnern des Bürgerbegehrens wurde also vorgespielt, dass sie mit ihrer Unterschrift die Kreisfreiheit verhindern könne, obwohl dies nicht zutrifft. Der Punkt, dass das Verfahren auch von Amts wegen fortgeführt werden kann, hätte zwingend mitgeteilt werden müssen. Die Unterzeichner/innen wurden hier in die Irre geführt.

Die Aussagen einzelner Stadträte/innen im Rahmen der Hauswurfsendung, dass der Stadtrat und der Kreistag vor 4 Jahren unter der Voraussetzung gewählt wurde, dass die seit 1972 bestehende, erfolgreiche Zusammenarbeit der Stadt und des Kreises weitere 6 Jahre Bestand haben soll, die Wähler dann bei beabsichtigten Strukturänderungen das „letzte Wort“ haben sollen, geht in dieselbe „falsche Richtung“. Damit sollte „eine vermeintliche Missachtung des Wählerwillens durch Teile des Stadtrats herbei geschrieben“ werden. Die tatsächlichen Zuständigkeiten für die Entscheidung sind damit nicht richtig dargestellt worden.

Wir sind im Übrigen der Auffassung, dass sehr viel dafür spricht, dass die Angelegenheit „Kreisfreiheit“ entlang des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg von 2015 nicht zum eigenen Wirkungskreis einer Gemeinde, wie in Art. 18 a Abs. 1 GemO gefordert, sondern zum übertragenen Wirkungskreis gehört:

Stellt eine Gemeinde in einem Verfahren, für das eine andere Behörde zuständig ist, einen Antrag, macht sie eine Anregung oder gibt sie eine Stellungnahme ab, erfolgen diese Mitwirkungshandlungen gegenüber der Entscheidungsbehörde schon deshalb im übertragenen Wirkungskreis, weil die Gemeinde für die Durchführung des Verfahrens und die Entscheidung nicht zuständig ist. Wenn eine Gemeinde nicht im eigenen Wirkungskreis handelt, agiert sie im übertragenen Wirkungskreis, einen dritten Wirkungskreis gibt es nicht.

Das Bürgerbegehren wäre auch aus dieser Sicht unzulässig.

Es lohnt sich sicherlich auch noch zu prüfen, ob in Anbetracht der haushaltsmäßigen Auswirkungen der Kreisfreiheit wie erhöhte Schlüsselzuweisungen oder kostenfreie Rückübertragung von Grundvermögen (nur bis spätestens 2022 möglich) mit ca. 15 Mio € ein Bürgerentscheid nach Art. 18 a Abs. 3 BayGO d.h. über die Haushaltssatzung überhaupt zulässig wäre. Von diesem möglichen „Solidarbeitrag“ der Stadt ist im Bürgerbegehren nichts zu finden.

Wir nehmen an, dass die Komplexität des Themas „Kreisfreiheit“, bei dem ja von allen Beteiligten ohne Zweifel „Neuland“ betreten werden musste, zumindest zum Teil ursächlich für die doch beachtlichen „handwerklichen“ Fehler der Bürgerinitiative und der Initiatoren der Hauswurfsendung beim Einbringen des Bürgerbegehrens gewesen sein könnte. Die Verantwortlichkeiten für die daraus resultierenden rechtlichen Folgen d.h. die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens tragen ohne Zweifel die Initiatoren des Bürgerbegehrens.

Wir verwahren uns entschieden gegen ehrabschneidende Vorwürfe

Wir verwahren uns auch entschieden gegen Kommentare in der Presse und von der BI, dass wir hier nach „Gefälligkeitsgutachten“ entscheiden und hierzu eigens „findige Rechtsanwälte“ gesucht wurden, die das Bürgerbegehren abwenden können. Derartige Aussagen sind nicht nur geschäftsschädigend für die Anwaltskanzleien, sie sind ehrabschneidend für die Gutachter und beinhalten auch schwerwiegende Vorwürfe an den Stadtrat, die wir so nicht akzeptieren können.

Es bleibt dabei, es ist ein beachtliches Maß an rechtlich relevanten Fehlern fest zu stellen:

  • formelle Fehler, die mit Masse die BI zu verantworten hat, da deren Initiatoren zu „blauäugig und hemdsärmelig“ an die Sache heran gegangen sind,
  • materielle Fehler, da die gestellte Frage dem eigenen Wirkungskreis nicht zugänglich ist, selbst wenn dies so wäre, die Frage durch den Entscheid des Stadtrats erledigt war und eine Umstellung der Fragestellung nicht zulässig ist, da der Bürger den jeweils zutreffenden Sachstand bei der Unterschrift kennen muss
  • die Verfassung und das Kommunalrecht aus guten historischen Gründen ein Bürgerbegehren nur in einem engen Rahmen zulässt.

Wir sehen in Anbetracht dieser Rechtsverstöße keine andere Möglichkeit, als dem vorliegenden Beschlussvorschlag zu folgen.“

Johannes Stingl, Fraktionsvorsitzender