Flüchtlingsunterbringung darf keine „Auslegungssache“ sein
16. März 2023Nachdem die Stadt Neu-Ulm das Thema Flüchtlingsunterbringung in nächster Zeit begleiten wird und Ausschussmitglieder immer wieder bei der rechtlichen Bewertung zu anderen Ergebnissen kommen als die Verwaltung ist es sehr wichtig, die einzelnen Fragen im Antrag beantwortet und rechtlich geklärt zu bekommen.
Das Thema Flüchtlingsunterbringung darf keine „Auslegungssache“ oder „gefühlsmäßige Entscheidung“ sein, sondern muss in den einzelnen rechtlichen Aspekten vorher geklärt werden.
Antrag zur rechtlichen Abklärung und Klarstellung der unten dargestellten Fragen bzgl. Aufstellen von Containeranlagen zur Flüchtlingsunterbringung
„Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren,
nach unserem Kenntnisstand soll der ablehnende Beschluss zum Top 2 des Bauausschuss vom 08.03.2023 wohl der Regierung von Schwaben zur Prüfung vorgelegt werden.
Aus der Sitzungsvorlage war bezogen auf die Gesamtabwägung lediglich zu entnehmen, dass dem Vorhaben nach § 35 Abs. 4 i. V. m. § 246 Abs. 9 BauGB bestimmte öffentliche Belange nicht entgegengehalten werden können, öffentliche Belange im Übrigen nicht beeinträchtigt seien. Der dringende Bedarf des Landratsamts an Flüchtlingsunterkünften sei schriftlich bestätigt worden.
Wir hatten in der Sitzung den Eindruck, dass viele von den Fraktionen angeführten öffentlichen Belangen, z.B. schädliche Umwelteinwirkungen (Lärm), Belange des Naturschutzes/ der Landschaftspflege (zu fällende Bäume auf dem Grundstück, Ortsbild (Container in Ortsrandlage) oder weitere öffentliche Belange wie fehlende Plätze bei der Kinderbetreuung und Schule, bei der Betrachtung durch die Verwaltung keine allzu große Rolle gespielt haben.
Die Sitzung hat uns gezeigt, dass wir, d.h. Verwaltung und Fraktionen, versuchen sollten, uns rechtlich bereits im Vorfeld besser abzusichern, um künftige Anträge entsprechend bearbeiten zu können.
Die CSU-Fraktion stellt daher den Antrag und bittet um rechtliche Klärung folgender Fragen durch die Prüfungsbehörde Regierung von Schwaben und/oder ggf. das Landratsamt Neu-Ulm und Berichterstattung danach im zuständigen Ausschuss:
Als Ausgangsbasis kann der TOP 2 BauA 8.3.2023, Bauvorhaben „Temporäres Aufstellen von Containern zur Unterbringung von Flüchtlingen“, Reutti, dienen. Die Fragen und Antworten eignen sich aber selbstverständlich auch für jeden anderen Standort:
- Der Bauantrag betrifft ein Bauvorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB. Ein Bereich der allgemein als schützenswert angesehen wird.
o Richtig? - Frage der Erschließung: wie soll die Strom- und Wasserversorgung sowie Abwasserbeseitigung erfolgen? Anders als bei privilegierten Vorhaben darf die Gemeinde bei sonstigen Vorhaben (das wäre hier so eines) das Angebot des Bauantragstellers, die Erschließung selbst durchzuführen, ablehnen, auch wenn es öffentliche Belange nicht beeinträchtigt (BVerwG DVBl 1986, 679). Eine „gesicherte Erschließung“ ist für Vorhaben sowohl nach § 35 Abs. 1 als auch § 35 Abs. 2 BauGB notwendig.
o Richtig? - Frage der Bäume: Sind die auf dem Parkplatz für den Bau der Container zu fällenden Bäume nicht unter § 35 Abs. 5 BauGB zu subsumieren?
- Die Antwort der Verwaltung auf die Frage im Ausschuss nach den zu fällenden Bäumen ging in die Richtung, dass es sich um „private“ Bäume handle, die hier bei der Betrachtung keine Rolle spielen würden.
- Laut Plan müssen für das Vorhaben sämtliche Bäume auf dem bisherigen Parkplatz gefällt werden?
- Zwischen 01.03. und 30.09. dürfen keine Bäume gefällt werden
- Richtig?
- Also kann der Investor vor dem 01.10. den Plan nicht umsetzen, wenn er doch noch genehmigt werden sollte.
- Wer überwacht das?
- Öffentliche Belange könnten dem Vorhaben entgegenstehen:
- Nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet.
- Warum gilt das hier nicht?
- Das BVerwG ZfBR 2002, 597 stellt dabei darauf ab, ob das Bauvorhaben dem Landschaftsbild (gleiches wird angenommen hinsichtlich des Ortsbildes) in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird.
- Warum gilt das hier nicht?
- Die Verunstaltung des Ortsbildes bezieht sich vor allem auf Lage und Stellung der baulichen Anlagen, also auf die Standortfrage in Bezug auf die Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles. Hier: direkter Ortseingang von Reutti – Visitenkarte eines Ortes!
- Eine Verunstaltung liegt vor, wenn der Gegensatz zwischen der baulichen Anlage und dem Ortsbild von dem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend oder Unlust erregend empfunden wird. Hier: zweimal zweistöckige Containeranlage im 90-Grad-Winkel, die wie ein Abwehr-Bollwerk am Ortseingang stehen.
- Warum gilt das hier nicht?
- Nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet.
- Gebot der Rücksichtnahme: § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB benennt die betroffenen öffentlichen Belange nicht abschließend. Ein ungeschriebener öffentlicher Belang ist das Gebot der Rücksichtnahme. Wir sehen dieses Gebot der Rücksichtnahme als verletzt an:
- Die „Infrastruktur“ in Reutti ist bezogen auf die Aufnahme von gesamt ca. 120 Flüchtlingen nicht genügend leistungsfähig:
- Fehlende Plätze Kinderbetreuung und Schule in Reutti
- Fehlende Einkaufsmöglichkeiten in Reutti
- Einwohnerstruktur, Reutti 1.738 Einwohner, ca. 120 Flüchtlinge sind dann knapp 9 %
- Verteilung von Flüchtlingen auf die Kreisgemeinden völlig ungleich.
- Vorbelastungen für NU z.B. Ankerzentrum Neu-Ulm!
- Kürzlich genehmigter Flüchtlingscontainer im Industriegebiet
- Hier hat die Verwaltung kein Argument gebracht. Man kann die Bedenken aber auch nicht einfach zur Seite schieben (sozialer Friede gefährdet).
- Die „Infrastruktur“ in Reutti ist bezogen auf die Aufnahme von gesamt ca. 120 Flüchtlingen nicht genügend leistungsfähig:
- Nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird. Dieser Begriff bedeutet nach § 3 BImSchG, dass es sich um Immissionen handelt, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
- Hier: Die unterzubringenden Menschen werden nicht ganztags auf ihren Zimmern im Container sitzen, insbesondere nicht im Sommer, wenn es heiß ist, sondern sich dann auf dem Gelände aufhalten (dann quasi Lärmbelästigung wie ganztägiger Pausenhof).
- Aufgrund welcher Vorgaben wird das nicht berücksichtigt?
- Hier: Die unterzubringenden Menschen werden nicht ganztags auf ihren Zimmern im Container sitzen, insbesondere nicht im Sommer, wenn es heiß ist, sondern sich dann auf dem Gelände aufhalten (dann quasi Lärmbelästigung wie ganztägiger Pausenhof).
- Nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen und andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert. Dieser Belang ist abzugrenzen vom Erfordernis der gesicherten (ausreichenden) Erschließung (vgl. dazu VGH München ZfBR 2004, 587). Dieser öffentliche Belang bezieht sich auf Erschließungsanlagen und sonstige Infrastruktureinrichtungen, die durch das Vorhaben und seine Benutzung im Allgemeinen beansprucht werden und für die in der Regel die Gemeinde oder der Landkreis meist auch aufgrund gesetzlicher Vorschriften entsprechende Vorkehrungen zu treffen hat.
- Die Zulassung des Vorhabens muss also zur Folge haben, dass die Gemeinde und sonstige öffentliche Träger der genannten Anlagen und Aufgaben verpflichtet sind, tatsächliche Aufwendungen für Herstellung und Unterhalt zu treffen.
- Dieser Punkt wurde ebenfalls nicht beleuchtet. Wie ist hier generell das Vorgehen?
- Die Zulassung des Vorhabens muss also zur Folge haben, dass die Gemeinde und sonstige öffentliche Träger der genannten Anlagen und Aufgaben verpflichtet sind, tatsächliche Aufwendungen für Herstellung und Unterhalt zu treffen.
Für eine entsprechende Klärung der Fragen vor einem nächsten Genehmigungsverfahren sind wir dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Waltraud Oßwald, Julia Lidl-Böck, Serkan Yildirim, Ruth Greiner, Hans-Georg Maier, Serkan Yildirim“