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Haben wir finanzielle Spielräume für den ÖPNV?

30. Juli 2022

Unter welchen Bedingungen kann die Stadt Neu-Ulm die Aufgabenträgerschaft für den ÖPVN übernehmen?

Stadtrat am 28.07.2022, TOP 2 ÖPNV-Aufgabenträgerschaft

Stellungnahme CSU-Fraktion

„Besten Dank für die Sitzungsvorlage und die Stellungnahmen der Verwaltung.

Die vorgetragenen Sachverhalte sind sicherlich aus dem jeweiligen Blickwinkel zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, den finanziellen Auswirkungen und den zu erwartenden Gestaltungsspielräumen nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt worden.

Wir treffen heute eine Entscheidung von großer strategischer Bedeutung für den öffentlichen Personennahverkehr und für die Entwicklung der Stadt Neu-Ulm insgesamt. Bei dieser Entscheidung, für die eine oder andere Variante, wird die CSU nicht einheitlich votieren. Die Beurteilung der Chancen und Risiken für oder gegen eine Aufgabenträgerschaft führte innerhalb der Fraktion zu unterschiedlichen Einschätzungen.

Die Bedeutung des öffentlichen Personennahverkehrs für den Klimaschutz, die Mobilitätswende, – Stichwort: Reduzierung von Treibhausgasen, und die soziale Teilhabe – Stichwort: Bezahlbare Verkehrsleistungen – ist hoch. Nach den Plänen des Bundesverkehrsministeriums und der bayerischen ÖPNV-Strategie 2030 sollen die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppelt werden. Dies bedeutet, sofern man dies ernst nehmen möchte, dass auch auf städtischer Seite akuter Handlungsbedarf besteht.

Dabei sollten wir die bestehende Beschlusslage zum städtischen ÖPNV nicht aus dem Auge verlieren, wir starten hier nicht bei „Null“:

• Es gibt ein ÖPNV Konzept mit Potenzialermittlung aus dem Jahr 2017 mit einer langen Liste von Maßnahmen, die zur Umsetzung vorgeschlagen werden. Hier gibt es unbestritten „Umsetzungsspielraum nach oben“.
• Es gibt einen Stadtratsbeschluss vom 3.7.2019, die Aufgabenträgerschaft vom Kreis übernehmen zu wollen, den ÖPNV zu gestalten und zu verbessern. Die Verwaltung wurde mit entsprechenden Verhandlungen beauftragt.
• Es gibt aus der gemeinsamen Sitzung mit dem Ulmer Gemeinderat vom 8.11.2019 eine Absichtserklärung bei Übernahme der Aufgabenträgerschaft einen gemeinsamen Nahverkehrsplan Ulm/Neu-Ulm aufzustellen.
• Es gibt ein von der Stadtverwaltung verhandeltes, faires Angebot des Landkreises, unter welchen Bedingungen die Stadt Neu-Ulm die Aufgabenträgerschaft übernehmen kann.

Bei der Auswahl unter den beiden Alternativen A und B geht es auch um die Auswahl des richtigen strategischen Partners für einen städtischen ÖPNV in Neu-Ulm für die nächsten Jahrzehnte.
Die Annahmen und Daten einschließlich den Ansagen zur Finanzierbarkeit über 20 oder 30 Jahre hinweg belastbar darzustellen, ist eine kaum zu erfüllende Herausforderung für die Verwaltung.

Ähnliches gilt für die Aufgabe, die tatsächliche Vergleichbarkeit z.B. qualitative oder finanzielle Vergleichbarkeit der beiden Varianten herzustellen.

Bei der Übersicht Nummer 7.3 wird bei der Variante B (Kreis) eine Qualität „Status Quo“ angenommen, während bei der Variante A (SWU) mit dem erhöhten „Ulmer Standard“ beziehungsweise mit dem „Ulmer Standard“ plus 30 % erhöhter Verkehrsleistung gerechnet wird. Dadurch entsteht bei den finanziellen Auswirkungen der Eindruck, dass die Variante B finanziell günstiger ausfällt, weil die notwendigen Zubestellungen beim Kreis unberücksichtigt bleiben.

Mit der Status Quo Variante beim Landkreis werden wir jedenfalls die notwendigen Verbesserungen im ÖPNV nach dem städtischen ÖPNV-Konzept 2017 nicht erreichen.

Bei der Einschätzung von Chancen und Risiken der beiden Varianten geht meine persönliche Entscheidung zu Gunsten der Variante A aus.

Als „Kommunaler“, der fest davon überzeugt ist, dass kommunale Aufgaben von der Ebene erledigt werden sollen, die den Problemen am nächsten steht, spreche ich mich dafür aus, dass die Stadt Neu-Ulm ihre Planungshoheit, die sie mit der mit der vom Landkreis angebotenen Übernahme der Aufgabenträgerschaft ausüben könnte, wahrnehmen sollte.

Klar ist für mich, dass die Stadt Neu-Ulm beim ÖPNV künftig gegenüber den SWU, der Stadt Ulm, dem Kreis und in der interessierten Öffentlichkeit „präsenter“ auftreten muss. Wir sind dann Aufgabenträger und möglicherweise auch Anteilseigner, das ist eine andere Position als bisher auf den „Zuschauerplätzen“.

Die SWU sind seit langen Jahren ein stets verlässlicher Partner der Stadt Neu-Ulm in allen Fragen des Verkehrs und der Versorgung.

Wir sollten uns vor diesem Hintergrund auch nicht zu sehr von Momentaufnahmen und der gegenwärtigen Situation auf dem Energiemarkt leiten lassen. Der Beschlussvorschlag zur Alternative A enthält in den Ziffern 2 und 3 zudem noch zwei „Stress-Tests“: zum einen bedürfen die erforderlichen Vereinbarungen u.a. mit dem Landkreis eines weiteren Stadtratsbeschlusses, zum anderen wird eine mögliche Anteilsübernahme bei den Stadtwerken nochmals durch einen Wirtschaftsprüfer geprüft und bedarf wiederum eines Beschlusses des Stadtrates. Das heißt, mit der heutigen Entscheidung zur Übernahme der Aufgabenträgerschaft durch die Stadt sind weitere Prüfungen verbunden.

Die Frage der Finanzierbarkeit der Aufgabenträgerschaft kann sicherlich nicht entlang des Haushaltsjahrs 2022 oder „zum heutigen Stand“ beurteilt werden. Bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit unseres Haushalts sind beim ÖPNV sicherlich die nächsten 20 Jahre zu betrachten, womit wir uns aus verständlichen Gründen sehr schwertun. Bei einem Verwaltungshalt mit 183 Mio. € und einem Vermögenshaushalt mit über 40 Mio. € (2022), der normalerweise in gut zweistelliger Höhe in Haushaltsausgabereste überführt wird, ist es möglich, finanzielle Spielräume für den ÖPNV“ zu eröffnen. Klar ist, als Aufgabenträger und ggf. Anteilseigner wird dies zu einem festen Bestandteil unseres Haushalts.

Wir sollten trotz der momentan schwierigen Bedingungen eine strategisch ausgerichtete Entscheidung für die nächsten Jahrzehnte treffen. Ich meine, dass wir für den ÖPNV mit der Variante A eine sehr gute Lösung beschließen können.“

Johannes Stingl