Kreisfreiheit Neu-Ulms ist eine strategische Option
1. Dezember 2017Für die Entscheidung zur Kreisfreiheit gibt es keine „Blaupause“, denn die Stadt Neu-Ulm ist z.Zt. die einzige Große Kreisstadt in Bayern mit deutlich über 50.000 Einwohnern, die die Aufgabenerfüllung der eigenen Stadt in bedeutsamen Bereichen dem Landkreis überlässt.
Stadtrat am 30.11.2017, Tagesordnungspunkt Nr. 4 Kreisfreiheit
Stellungnahme der CSU-Stadtratsfraktion, Fraktionsvorsitzender Johannes Stingl:
„Die Kreisfreiheit Neu-Ulms ist eine strategische Option
Die Kreisfreiheit hat für die zukünftige Entwicklung der Stadt Neu-Ulm eine enorme strategische Bedeutung. Nachdem eine Stadt wie Neu-Ulm wirtschaftlich, kulturell und in der Regionalplanung eine Bedeutung hat, die über den angrenzenden Landkreis hinaus geht, wird nicht nur Neu-Ulm mit der Kreisfreiheit besser fahren, sondern die gesamte Region.
Wir sollten daher alles daran setzen, die Chancen, die die Kreisfreiheit bietet, nicht zu zerreden, sondern die Chancen müssen gesehen, sorgfältig und zielstrebig ausgelotet und dann auch genutzt werden. Vergangenheitsbezogenes Zurücklehnen nach dem Motto „ lief doch ganz gut mit dem Kreis“ wird der rasanten und guten Entwicklung unserer Heimatstadt nicht gerecht. So lassen sich keine Weichen für die Zukunft stellen.
Mit „Bedenkenträgerei“ und „wahlkampfmäßiger Stimmungsmache“ werden wir dieser Herausforderung ebenfalls nicht gerecht. Als einzige Stadt in Bayern mit deutlichen über 50.000 Einwohnern sind wir immer noch kreisangehörig. Wir überlassen damit wesentliche Entscheidungen und wesentliche Finanzmittel für Neu-Ulm dem Landkreis. Andere Städte in Bayern mit etwas über 40.000 Einwohner beanspruchen den Status einer kreisfreien Stadt hingegen ohne Probleme. Übrigens: Ich habe von den Befürwortern der Kreisangehörigkeit auch noch nichts gehört, wie man sich die Zukunft dort im Kreis weiterhin vorstellen darf. Wie ist die zukünftige Position einer Stadt mit über 60.000 Einwohnern in einem Kreis, dessen nächstgroße Stadt nur ein Drittel der Einwohner von Neu-Ulm hat und die untere Bandbreite der 16 Gemeinden bis auf 1.000 Einwohner runtergeht?
Wir müssen also schon aufpassen, dass wir diese einmalige Chance für Neu-Ulm, sich strategisch und in der Region und im Oberzentrum Ulm/Neu-Ulm zukunftsfähig auf zu stellen, tatsächlich auch nutzen.
Für die Entscheidung zur Kreisfreiheit gibt es keine „Blaupause“, denn die Stadt Neu-Ulm ist z.Zt. die einzige Große Kreisstadt in Bayern mit deutlich über 50.000 Einwohnern, die die Aufgabenerfüllung der eigenen Stadt in bedeutsamen Bereichen dem Landkreis überlässt. Neu-Ulm war bis 1972 kreisfrei, die Zeiten waren damals auch nicht einfach. Die Stadt hat jedenfalls bewiesen, dass Neu-Ulm bis zur zwangsweisen Einkreisung im Jahr 1972 „kreisfrei“ durchaus kann.
Die sich aus der Kreisfreiheit ergebenden neuen Zuständigkeiten ermöglichen es, alle kommunalen Dienstleistungen für Bürger und Wirtschaft aus einer Hand an zu bieten und zu erledigen.
Der Stadtrat hat sich in der Sitzung am 26. Juli 2017 mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, einen Antrag auf Kreisfreiheit durch die Stadtverwaltung vorbereiten zu lassen. Prima, dass schon 3 Wochen später, nachdem wir die Verwaltung auf den Weg geschickt haben, mit dem Landkreis die Dinge u.a. finanzielle Eckpunkte zu klären, schon in einer ersten Anfrage vom 18.8.2017 hierüber Auskünfte verlangt wurden. Die FWG muss es demnach ja sehr eilig mit der Kreisfreiheit haben. Die Finanzen sind sicherlich ein wichtiger Aspekt der Kreisfreiheit, aber nicht der allein entscheidende.
Das seither von der Stadtverwaltung betriebene Verfahren verläuft weitgehend reibungslos und sachlich. Die Bearbeitung des vom Neu-Ulmer Stadtrat an die Stadtverwaltung erteilten Auftrags, mit dem Landkreis Neu-Ulm über die finanziellen und vermögensrechtlichen Einzelheiten der Kreisfreiheit zu verhandeln und möglichst bis Ende 2017 Ergebnisse vorzulegen, verläuft aus unserer Sicht planmäßig.
Die fünf Informationsveranstaltungen für die Bürgerinnen und Bürger in Ludwigsfeld, Pfuhl, Holzschwang, Steinheim und in der Stadtmitte waren hilfreich. Im Hinblick auf die von den teilnehmenden Bürgern weiterhin benötigten Informationen zur Kreisfreiheit hat sich weiterer Informationsbedarf ergeben. Die Informationen zur Kreisfreiheit können beim gegenwärtigen Stand der Gespräche mit dem Landkreis und den Ministerien noch nicht so detailliert sein, wie sich das manche vielleicht gewünscht haben. Da muss bis zum Jahresende sicherlich noch nachgelegt werden.
Die frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger schließt selbstverständlich kritische Fragen zur Kreisfreiheit ein. Wenn kritisch beispielsweise nach den finanziellen Auswirkungen, der Effizienz einer kreisfreien Stadt, den benötigten zusätzlichen Räumlichkeiten oder den Möglichkeiten eines Bürgerbegehrens gefragt wird, ist dies doch absolut nachvollziehbar und auch durchaus erwünscht. Daraus ab zu leiten, es sei schon beim jetzigen Stand des Verfahrens so, dass ein Bürgerentscheid der einzig richtige Entscheidungsweg ist, widerspricht deutlich den Eindrücken die wir von den Informationsveranstaltungen hatten. Der Stadtrat ist nach der bayerischen Kommunalverfassung das Hauptorgan einer Stadt. Diesem Hauptorgan in erster Linie verleiht bayerische Gemeindeordnung die Entscheidungskompetenz in allen Fragen einer Stadt, insbesondere wenn es Entscheidungen strategischer Art geht. Da wird den von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Stadträten und Stadträtinnen insbesondere von Teilen der Presse allzu vorschnell und mit „lockerer Hand“ dieses Entscheidungsrecht abgesprochen. „Bedingt“ erstaunlich ist, dass einige Stadträte die Bürde dieser Entscheidung schon in einer sehr frühen Phase an die Bürgerschaft abgeben möchte, bevor überhaupt die Fakten vollständig auf dem Tisch liegen und eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung absehbar ist. Dann wären ggf. Überlegungen zum Entscheidungsweg angesagt. Nachdem manche im Stadtratsgremium offenbar schon wissen, dass „es so nicht geht“, sind wir auf deren konstruktive Beiträge gespannt, wie es denn gehen könnte.
Die CSU-Fraktion wird dem Beschlussvorschlag Ziffer 1 und 2 zustimmen, insbesondere den Stadtrats-Beschluss vom 26.07.2017 zu bekräftigen und die Verhandlungen mit dem Kreis und die Abstimmung mit den Ministerien zügig ab zu schließen.
„Bedingt“ überrascht sind wir vom FDP-Antrag auf Durchführung eines Ratsbegehrens. Überrascht deswegen, weil doch die von der FDP seit längerer Zeit veranstaltete Umfrage zum Entscheidungsverfahren bei der Kreisfreiheit derzeit folgendes Ergebnis aufweist (114 Teilnehmer):
„Ihr der Stadtrat, macht das schon“ 84,2 %
„Wir wollen mehr Informationen“ 1,7 %
„Wir wollen – in welcher Form auch immer – aktiv mit abstimmen“ 14 %.
„Bedingt“ überrascht deswegen, weil das Ergebnis der FDP nur bedingt gepasst hat, so dass man sich unter den gegebenen Umständen in der Lage sah, das Votum der Abstimmenden schlicht und einfach zu ignorieren.
Der Antrag auf das Ratsbegehren wurde vorsorglich eingereicht, Monate bevor überhaupt mal klar ist, wie die Eckdaten für die Kreisfreiheit sein werden.
Das Ratsbegehren ist auch inhaltlich schlecht aufgezogen: Es ist die Rede von einer Bürgerbefragung zur Kreisfreiheit Ja/Nein. Tatsächlich ist es aber so, dass der Bürger an Stelle des Stadtrat die Entscheidung für die Stadt trifft.
Wir sind daher der Ansicht, dass dieser Antrag abgelehnt werden sollte, über Entscheidungsverfahren werden wir uns erst nach Vorlage der Fakten zur Kreisfreiheit, abschließende Gedanken machen können.
Wir könnten uns als Kompromissangebot auch grundsätzlich vorstellen, dass das Thema „Ratsbegehren“ in der heutigen Sitzung abgesetzt werden könnte. Der Stadtrat kann sich in der heutigen Sitzung mit diesem Thema vernünftigerweise nicht befassen.
Ansonsten werden wir den Beschlussvorschlägen 1 bis 3 zustimmen.
Johannes Stingl“